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Tupiza, 28.12.06
Schnee, Schlamm, Silber und Salz
Ueber den Wolken
Wir eilen keuchend die Artesania-Gasse hoch und runter - auch nach zwei
Wochen ueber 3000 Metern immer noch nicht ganz an die duenne Luft gewoehnt -
und suchen nach Souvenirstaenden mit Alpacahandschuhen. Nicht, dass es in La
Paz an Auswahl von Woll-Souvenirs mangeln wuerde, aber wir brauchen sie
heute noch, und so spaet am Abend gehen auch die ausdauerndsten
Strickerinnen langsam nach Hause. Schliesslich finden wir eine freundliche
Verkaeuferin, die laechelnd ihre sauber verpackten Saecke wieder entleert
und uns ein paar ihrer Handarbeiten vorlegt. Bald streichen wir auch den
letzten Punkt auf unserer Liste und gehen endlich schlafen.
Vier Tage spaeter bummeln wir gemuetlich durch die Strassen von La Paz,
probieren hier und dort einen Pulli oder eine Kappe, fragen da und dort nach
Preisen und staunen ueber die Anzahl von Alpacahandschuhen, die in dieser
Stadt feilgeboten werden. Nach den Anstrengungen der letzten drei Tage haben
wir uns einen Tag Souvenir-Shoppen wirklich verdient.
Nur gerade einen Tag frueher sassen wir noch oben auf dem Gipfel des Huayna
Potosi, 6088 Meter
ueber dem Meeresspiegel und genossen den Erfolg, das suesse Gefuehl, mit
Hilfe des Berges sich selber bezwungen zu haben. Die ersten zwei Tage der
Dreitagestour waren dazu dagewesen, uns in langsamen Schritten an die Hoehe
zu
gewoehnen und auch in einer Uebungseinheit am Gletscher an den Gebrauch von
Pickel und Steigeisen. Auf ca. 4700 Meter verbrachten wir eine gemuetliche
Nacht in einem richtigen
Bett und wurden von der Koechin des Refugios regelmaessig mit exzellentem
Essen vollgestopft. Nach der zweiten kurzen Nacht auf 5200 Metern wussten
wir, warum. Mein Magen tat mir schon beim Aufstehen seine Meinung kund und
Nico erwischte es dann waehrend des Aufstiegs. Durchfall mitten in der
Steilwand
ist etwas unangenehm... Waehrend unsere Maegen uns den Krieg erklaerten,
hiess uns der Berg mit offenen Armen willkommen. Das Wetter - die ganze
Nacht noch trueb - klaerte in den fuenf Stunden des Aufstiegs und als wir
unten am letzten Steilhang standen, versprach der Sternenhimmel ueber uns
Lohn fuer unseren Einsatz. Die letzte Wand ist steil, eine Stunde lang hauen
wir Pickel und Steigeisen in das Eis (meine Alpacahandschuhe kriegen schon
die ersten Loecher). Auf 6000 Metern ist jeder Schritt eine kleine Tat. Dann
die Genugtuung. Die Sonne geht auf, als wir unsere Besteigung feiern, und
wirft ihre erste Strahlen auf uns, einer der hoechsten Punkte weit und
breit! Der Abstieg ist ein Kinderspiel und unten im Refugio wird der Baer in
meinem Magen wieder wach. Spaghetti, mmmhh!
Zurueck in La Paz suchen wir eine Kartonschachtel, um die loechrigen
Alpacahandschuhe und die neu erworbenen Souvenirs zu verpacken. Aber es
erweist sich nicht als so einfach, eine Kartonschachtel zu finden, die nicht
schon einen Gebrauchszweck hat. Einen Supermarkt gibt es nicht wirklich,
ganz La Paz ist schliesslich ein Super-Markt. Jeder und jede verkauft etwas:
Berge von Kuerbissen, Saecke voller Teigwaren, Koerbe mit Brot, oder auch
nur: drei Zwiebeln und eine Tomate oder zwei Pakete selbergedrehte
Zigaretten, oder dann: Amulette, Wahrsagekuenste oder Alpaca-Foeti mit den
entsprechenden Zauberworten dazu. Was mich besonders fasziniert sind
Staende, die solch sinnvollen Dinge wie Telefonkabel oder Gelenkstuetzen
verkaufen. Angenommen, ich verstauchte meinen Fuss (was bei diesen
Trottoiren ja durchaus moeglich waere), wie um Himmels Willen finde ich den
einzigen Stand in La Paz mit Gelenkstuetzen? Wir fragen eine nett aussehende
Verkaeuferin, wo wir wohl Kartonschachteln finden koennen (wohlgemerkt, es
wimmelt von Schachteln, aber alle sind in Gebrauch) "Keine Ahnung!" Meine
Angst um die arme Gelenkstuetzenverkaeuferin ist wohl nicht unbegruendet...
Schliesslich ist unser Paket abgeschickt und die naechste Tour auch schon
gebucht. Dieses Mal soll es nicht 3000 Meter nach oben, sondern nach unten
gehen!
In den Waeldern des Amazonas
Geplant ist eine Biketour von La Cumbre (4700 m) nahe La Paz hinunter nach
Coroico ( ca. 1300 m), in die warmen Waelder der Yungas. Es macht Spass
wieder einmal
auf einem Bike zu sitzen und die Fahrt ist landschaftlich sehr sehenswert.
Dazu kommt aber auch, dass das Bike wohl die sicherste Variante ist, um von
La Paz nach Coroico und weiter nach Rurrenabaque zu gelangen, unserem
naechsten Ziel. Denn die Strasse ist eng, ungeteert und extrem
steilabfallend. Laut einer vielzitierten Statistik, soll dieses
Strassenstueck gar die "gefaehrlichsten Strasse der Welt" sein und wir sind
definitiv froh darueber, unsere Geschwindigkeit selber bestimmen zu koennen.
Dafuer machen einem am Abend die Haende weh vor lauter Bremsen...
Rurrenabaque ist dann Ausgangspunkt fuer unsere erste Safari. Das
Pampas-Gebiet des Flusses Yacuma bietet allerlei Tierleben: Affen und
Aeffchen, Alligatoren und Kaimane, Schlangen und rosarote Delfine. Vorallem
aber ist der Fluss selber eine wilde Schoenheit, total ueberwachsen auf
beiden Seiten ist man unsicher, ob die Baeume das Wasser ueberwuchern oder
der Fluss die Ufer ueberschwemmt. Wir geniessen die drei Tage aus vollen
Zuegen, einziger Nachteil sind die vier sehr netten Leute in unserer Gruppe,
deren Hauptinteressen mit Essen und Haengemattenzeit leider nicht ganz den
unseren entsprechen.
Mit diesem Problem haben wir auf unserer zweiten Safari im Noel Kempff
Mercado NP nicht mehr zu kaempfen. Mangels Alternativen mieten wir uns zu
zweit einen Jeep mit Fahrer, der uns alleine vier Tage im Park herumfaehrt.
Waehrend diese vier Tage im unberuehrten Dschungel durchaus etwas ganz
Besonderes sind, so kann man die Reise hin nur als Qual bezeichnen. Und als
wir in Santa Cruz im Zoo stehen und uns die Tiere aus der Naehe ansehen
(diese, die wir gesehen haben, und diese, die auch noch dort gelebt
haetten), haben wir doch irgendwie das Gefuehl, etwas viel Zeit, Energie und
Geld in das Abenteuer Regenwald gesteckt zu haben. Wir beschliessen, von nun
an etwas weniger oft Bus zu fahren und nehmen am naechsten Tag den Bus nach
Sucre...
Zurueck in den Anden
Die zuckerweissen sauberen Haeuserreihen und Maerchenschlosskirchen von
Sucre stehen im Kontrast zum tiefblauen Himmel und sind genau das, was wir
gesucht haben, um unsere Batterien wieder aufzuladen. 25 Grad, saubere
Andenluft und keine Moskitos!
Ganz anders wirkt das bunte, aber kalte und leicht heruntergekommene Potosi.
Auf einer spannenden Tour durch die Muenzpraegstaette laesst der
Museumsfuehrer die mehr oder weniger glorreiche, aber bestimmt bedeutsame
Vergangenheit dieser einst reichsten Stadt der Welt wieder auferleben. Hier
wird seit vierhundert Jahren Silber abgebaut und die puren Silbermuenzen von
Potosi waren einst die staerkste Waehrung der Welt. Profitiert hat
allerdings nur das Ausland und daran hat sich bis heute nicht viel
veraendert. Fuer ein Land, das Silber, Zink, Bronze, Gold, Uran, Antimon,
Salz, Schwefel und Plutonium abbaut, ist der Lebensstandard in Bolivien
unglaublich tief. Bettler praegen das Stadtbild, Kinderarbeit ist verbreitet
und Analphabetismus ebenfalls. Als wir einmal in Sucre in einem Lokal vor
unseren eben leer gegessenen Tellern sitzen, schleicht wie ein streunender
Hund ein aelterer, verlumpter Mann hinein und schnappt sich ohne Worte den
abgegnagten Knochen von meinem Teller. Das ist die andere Seite des
wunderschoenen Boliviens.
Trotz dem schoenredenden Begriff "Kooperativen" handelt es sich bei den
Minen-Gesellschaften von Potosi anscheinend immer noch um eine klare
Zweiklassengesellschaft. Es verdient derjenige, der das Kapital liefert. Die
anderen arbeiten in der vergifteten Dunkelheit der Schaechte, bis ihre
Gesundheit sie zum Aufgeben zwingt. Zehn bis fuenfzehn Jahre, oder
vielleicht etwas laenger mit Coca-Blaettern. Wir lassen uns von einem jungen
Ex-Minero durch die Stollen fuehren. Er war zwoelf, als er seinem Vater in
die Minenarbeit folgte und es verbinden ihn heute noch Freunde, Verwandte
und die Kindheitserinnerungen an Vater und Grossvater, die beide hier ihr
Leben gelassen haben, an den duesteren Ort.
Nach einem beeindruckenden Morgen folgt der spassige Teil der Fuehrung: ein
bisschen Dynamit, nur weil es so schoen knallt...
Weisse Weihnachten
Uyuni ist ein klassisches Touristenboomstaedtchen mit all den typischen
Anzeichen: Flyerverteiler am Busbahnhof, Pizzageruch aus allen Ecken und
mehr Touranbieter als Alpacahandschuheverkaeufer in La Paz. Waehrend alle
Agenturen eigentlich exakt dasselbe anbieten, so unterscheidet sich die
Qualitaet der Touren anscheinend gewaltig und ist teilweise derart tief,
dass mit (Schweizer) Spendengeldern ein Informationsbuero mit einem
Wertungssystem eingerichtet worden ist. Wir buchen bei einer der besten
Agenturen und bekommen so - im Gegensatz zu vielen anderen - einen Fahrer,
der sowohl den Weg kennt als auch nicht trinkt; eine Koechin, die kochen
kann und genug Esswaren eingekauft hat und - besonders toll - ein Auto, das
faehrt. Die Mittouristen suchen wir uns diesmal ebenfalls sorgfaeltig aus.
Mit dabei ist ein froehlicher Oesterreicher mit Zipfelmuetze, ein deutscher
Informatiker, der Spanisch, Deutsch und Englisch fliessend spricht
(praktisch) und ein tuerkisch-britisches Paerchen mit mehr Geld als Zeit,
aber sehr offen fuer alles. In vier Tagen fahren wir quer ueber die groesste
Salzwueste der Welt, durchbrochen nur von ein paar Korallenriffinseln. Wir
besteigen einen Vulkan bis in die Naehe des farbigen Kraterrandes,
beobachten die Flamingos dabei, noch roeter zu werden und wundern uns ueber
die verschiedenen Farben der Roten, Gruenen und Weissen Lagune (bis zur
Blauen schaffen wir es leider nicht). Weihnachten ist vielleicht etwas
anders als gewohnt, aber immerhin kommen wir mit weissem Konfetti und
tonnenweise Salz weissen Weihnachten recht nahe und fuer die richtige
Stimmung sorgt unser Ipod. Es ist auf jeden Fall ein froehliches Fest. Ein
Geysirfeld und ein Schwumm in den heissen Quellen runden das Programm in
dieser ungewoehnlichen Landschaft ab. Dann sagen wir Fahrer und Koechin
adios und mit ihr auch den letzten huebschen Bowler-Hueten. Wir werden sie
vermissen.
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