Russland


Ulan Ude, 10.5.05    



OK, dieser wird ein bisschen laenger...

Es gibt sicherlich Angenehmeres als morgens um halb drei die russische Grenze zu passieren. Abgesehen davon, dass wir mitsamt unserem ganzen Gepaeck aussteigen muessen, um es durchleuchten zu lassen, verlaeuft die ganze Operation aber relativ reibungslos. Mit unserem Visum (war auch teuer genug) scheint also alles in Ordnung zu sein. Nun sind wir drin, im groessten Land der Erde, welches vom Golf von Finnland bis zum stillen Ozean reicht und fast einen Drittel des Planeten umspannt. Mit dem Zug werden wir es zu erkunden versuchen, doch nun erstmal dies: In Sankt Petersburg, der Zarenstadt auf dem 60. Breitengrad beginnt unser Russlanderlebnis. Uns wird schnell klar, dass das Reisen hier anstrengender werden wuerde. Alles ist teurer, die Leute vermehrt kurz angebunden bis unfreundlich (im Speziellen solche, die sich hinter irgendeiner Glasscheibe befinden) und die durchschnittlichen Englischkenntnisse der Russinnen und Russen entsprechen in etwa den durchschnittlichen Russischkenntnissen der Schweizer. Oder anders gesagt: Die Kommunikation funktioniert ungefaehr so gut wie die zwischen einem Emmentalerkaese und einer Buechse Kaviar. Aber Petersburg hat immerhin 4-5 Mio. Einwohner und so findet sich doch auch hin und wieder eine Moeglichkeit zur Verstaendigung. Zudem kommt uns das Wetter entgegen, was den Aufenthalt hier angenehm macht. Wir machen eine Bootsfahrt auf der Neva, bewundern die Zarenpalaeste und besuchen natuerlich die Hermitage (Topsehenswuerdigkeit, die haelt, was sie verspricht), sowie das neu rekonstruierte Bernsteinzimmer.
Morgens um fuenf kommen wir in Moskau an und das Wetter wird schlecht. Doch auch abgesehen von dieser kritischen Konstellation haben wir das Gefuehl, dass Moskau nicht unbedingt einen langen Aufenthalt lohnt. Die Kirchen, allen voran die St. Basilus-Kathedrale sind sehr huebsch, und die Moskauer Metro eine lohnende (Schlechtwetter-) Sehenswuerdigkeit. Leider ist der rote Platz aber tagsueber gesperrt und nachts herrscht ein Stativ-Verbot, jedenfalls gemaess den Aussagen des etwas bedrohlich wirkenden Polizisten vor Ort. Ueberhaupt scheint die groesste Gefahr hier von uniformierten Personen und jedweden Personen hinter Theken/Schaltern auszugehen, waehrend die Leute auf der Strasse sehr nett sind. An Brigittes Geburtstag ist das Wetter so schlecht wie noch nie und wir haben ein spaetabendliches Menu surprise (Ja, diese kyrillischen Speisekarten haben auch ihren Reiz). Wir beschliessen schon am naechsten Tag mit dem Abenteuer Transib zu beginnen. Levan, ein sehr freundlicher Georgier, den wir in Litauen getroffen haben, bringt uns zum Bahnhof und organisiert alles. So frueh und bequem sind wir seit dem ersten Tag unserer Reise nie mehr an einem Bahnhof angekommen.
Zug Nr. 80 kommt Abends um 22 Uhr in Sverdlovsk (Jekaterinburg) an - wir steigen aus und haben ein Problem, naemlich kein Hotel. Ohne Olga (Danke nochmals) waeren wir eventuell auf Rucksaecken gebettet in der Bahnhofshalle geendet oder gleich in den Armen dieser anderen jungen Dame am Bahnhof, die uns ihr Appartement (letzmals gereinigt und aufgeraeumt zu Jelzins Zeiten) zu einem stolzen Preis ueberlaesst. So aber fahren wir mit Olga und ihrem Freund waehrend mehr als einer Stunde durch die Stadt, nur um festzustellen, dass alle Hotels ausgebucht sind, bevor uns die Dame vom Bahnhof ihr rettendes Dreckloch anbietet. Wir nehmen an und schlafen gut. Am naechsten Tag wechseln wir den Wohnsitz. Ausser fuer Volleyball und Boris Jelzin (schon wieder er) ist Jekaterinburg vor allem als der Ort bekannt, wo die letzte Zarenfamilie (5 Kinder inkl.) ihr blutiges Ende fand. Heute steht an dieser Stelle eine Kirche. Wir besichtigen ausserdem das Jugendmuseum und ein Weltkriegsdenkmal (welches hier stellvertretend fuer alle Weltkriegsdenkmaeler in jeder noch so unbedeutenden russischen Stadt erwaehnt sei). An unserem ersten Tag in Sibirien hat es 20 Grad und wir spazieren im T-shirt (wir werden es auch noch anders kennenlernen). Ein Tagesausflug in ein sibirisches Dorf mit Essen, Chauffeur und Guide ist gemuetlich und interessant vor allem weil der Guide so gut Englisch spricht. Am Abend nehmen wir den Zug nach Omsk.
In Omsk ist vor allem die Gastfreundschaft der Familie Alexandrov (Name der Redaktion nicht bekannt) zu erwaehnen. Waehrend zwei Tagen leben wir bei und mit ihnen in der Wohnung (aussen Sovjet-Block, aber innen sehr huebsch) und werden bekocht, herumchauffiert und durch die Stadt gefuehrt (u.a. Dostojevskij-Museum, Kunstmuseum). Alles ist einfach und effizient. Die Unterhaltung funktioniert mit Zeichensprache und Dix und unser Wortschatz vergroessert sich auf ca. 30 Einheiten. Vielleicht war es Mitleid, vielleicht Torheit, als Sacha und Ljuda uns nach einem gemeinsamen Tag im Zug Nr. 80 (s. o.) ihre Telefonnummer gaben. Wir haben angerufen und es nicht bereut. Sie hoffentlich auch nicht.
Im freundlichen Staedtchen Severobaikalsk (am Nordende des Baikalsees) kommen wir unter die Fittiche von Olga II, obwohl wir eigentlich ein Zimmer im Hotel Podlemore anvisiert haben. Aber die Receptionistin dort ist schwer von Begriff oder faul oder beides und ruft letztendlich ihre Freundin (Olga), die uns zu sich nach Hause nimmt (schoene Teppiche, weiche Betten, o.F.). Als naechstes suchen wir Rahid, einen ehemaligen Bahnarbeiter und Schachmeister und nun inoffizieller Tourismusdirektor, Alter 60+. Wir finden ihn ca. 10 Rechts- und weitere 10 Linkskurven ca. 100 Meter ausserhalb des Zentrums. Nach sechs Stunden (Nachtessen inbegriffen) haben wir uns eine Tour fuer die naechsten Tage ausgedacht: Die Ueberquerung des Baikalsees (Speicher eines Fuenftels des weltweiten Suesswassers) auf Skiern. Ein faszinierendes Abenteuer und eine Herausforderung fuer die Adduktoren. Mit einstuendiger Verspaetung (was sich noch raechen sollte) legen wir los. 12 Stunden und 50 Kilometer spaeter erreichen wir die andere Seite. Ein einsamer Fischer empfaengt uns deutlich nach Sonnenuntergang. Fisch auf dem Tisch und spaeter in unseren Baeuchen. Ein Bad in den heissen Quellen - todmuede. Den Rueckweg unterteilen wir in zwei Etappen und zelten ca. in der Mitte des Sees. Mehr als 1000 Meter Wasser sowie 1 Meter oder zumindest ein halber Meter (hoffentlich) Eis unter uns, -11 Grad um uns und die sibirische Sternenpracht ueber uns. Vladimir, unser Begleiter, holt alles aus dem eigensinnigen Benzinkocher heraus, bis wir gut in unseren Schlafsaecken (Typ: Tropical light, 830 Gramm!) und noch einem Schlafsack (Gott sei Dank) eingepackt sind. Es ist nicht besonders gemuetlich aber ok und am naechsten Tag erreichen wir schnellen (Skating-) Schrittes unser Ziel und Ausgangspunkt: Olgas warme Stube.
In Irkutsk treffen wir (in dieser Reihenfolge) erstmals seit Moskau auf Touristen, eine weitere Lenin-Statue, Alexander III in Stein, Juri Gagarin (ebenfalls Stein), Anastacia (oder Larissa) vom Fruechtemarkt (lebendig), huebsche Holzhaeuser, schnelles Internet und schliesslich nehmen wir den Bus nach Listvyanka, am Suedende des Baikals 600 Kilometer von Severobaikalsk und Olga und Vladimir, wo sich die huebsche Angara (kein Eis) auf den Weg zum flotten Yenisseij macht. Listvyanka ist ein gemuetliches Dorf (abgesehen von der Hauptstrasse zwischen See und Haeusern und den langsam einsetzenden Touristenmassen aus Irkutsk). Wir machen eine kleine Wanderung und eine grosse Wanderung und einen Chili-Vodka-Abend. Aussergewoehnich vorausplanend holen wir uns im Nobelhotel eine Fahrplanauskunft fuer unsere grosse Tour. Die Damen von der Reception geben uns gerne Auskunft. Am naechsten Morgen um 8 setzen wir ueber die Angara nach Port Baikal, wo frueher die Passagiere der Transsib ins Boot umsteigen mussten, um den See zu ueberqueren. Die Wanderung entlang den Schienen der heute stillgelegten Zirkumbaikal-Route ist sehr huebsch und liesse sich auch optimal als mehrtaegige Tour gestalten (gute Campinggelegenheiten unterwegs). Wir hingegen wenden nach vier Stunden und einem praechtigen Lagerfeuer und erreichen puenktlich um 18.15 den Bootssteig fuer unsere Rueckfahrt. Die Faehre naehert sich auch schon - legt an - Kapitaen geht von Bord (Man erinnere sich an die freundlichen Damen von der Reception) - Betriebsschluss. Wir sehen unser gemuetliches Zimmer (schon bezahlt) langsam auf einer Eisscholle Angara-abwaerts treiben und unser bereits im Detail ausgemaltes Abendessen im Baikal versinken - doch noch geben wir nicht auf - als die Rettung des Abends in Form von zwei Knaben sich uns naehert. Fuer 300 Rubel rudern sie uns im einzigen Ruderboot (eigentlich dem einzigen Boot ueberhaupt, welches nicht im Eis eingefroren ist oder eben Betriebsschluss hat) zum anderen Ufer. Nach einem geruhsamen Tag fahren wir zurueck nach Irkutsk und direkt weiter Ulan Ude, unserem letzten Halt in Russland, ueber 6000 Kilometer von St. Petersburg entfernt. Auch wenn unser Visum nicht in zwei Tagen ausliefe, hier wuerden wir nicht laenger bleiben. Weiter zum Grenzort Nauschki (was fuer ein Name!), wo wir (einmal mehr in Regionalzuegen reisend) aussteigen und ein neues Ticket kaufen muessen. Eine gewagte Kalkulation in Ulan Ude fuehrt nun dazu, dass wir uns eben dieses aber nicht leisten koennen. Bank Fehlanzeige, Bankomat Fehlanzeige, Visa-Restdauer 12 Stunden. Gluecklicherweise halten alle Zuege fuer laenger Zeit in Nauschki und wir finden einen Chinesen, der uns einen formidablen Wechselkurs fuer unsere (ansonsten nicht wahnsinnig beliebten) US-Dollars gewaehrt. Am naechsten Morgen rollen wir mit leichtem Getoese in Ulan Bator ein.


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